- Regie:
- Marcus H. Rosenmüller, nach dem Roman von Anna Maria Jokl
- Land und Erscheinungsjahr:
- Deutschland 2008
- Altersfreigabe der FSK:
- ab 6 Jahren
- Altersempfehlung:
- sehenswert ab 10 Jahren
- Länge:
- 100 Minuten
- Kinostart:
- 8. Januar 2009
Alexander geht in die siebte Klasse und lebt in einem Dorf irgendwo in Bayern. Es ist das Jahr 1931. Der Junge träumt davon, einen Malwettbewerb seiner Schule zum Thema „Der Beruf meines Vaters“ zu gewinnen, um seine Mitschülerin Lotte zu beeindrucken. Alexander kann hier seiner Fantasie freien Lauf lassen, denn sein Vater arbeitete als Schiffskoch und gilt der Mutter zufolge seit einer Überfahrt nach China als verschollen. Alexanders bester Freund ist Maulwurf, der Klügste in der Klasse und ein leidenschaftlicher Erfinder. Seine neueste Errungenschaft ist eine weiße Farbe, die nach dem Trocknen in allen Farben des Regenbogens wie Perlmutt schillert. Der Zufall will es, dass das Fläschchen mit der Farbe in Alexanders Schulranzen landet und er daheim beim Ausprobieren der Farbe versehentlich auch noch ein wertvolles Buch eines Schülers aus der Parallelklasse ruiniert. Statt die Wahrheit zu sagen, greift Alexander zu einer Notlüge, was ihm ein schlechtes Gewissen gegenüber den Schulkameraden und insbesondere Lotte und Maulwurf bereitet.
Viel schlimmer ist jedoch, dass er nun von dem älteren, neuen Mitschüler Gruber erpresst wird, der um den wirklichen Sachverhalt weiß. Gruber nutzt sein Wissen und Alexanders Feigheit schamlos für seinen eigenen Zweck aus, zum Anführer der Klasse zu werden. Er macht die Parallelklasse für den Diebstahl der Perlmutterfarbe verantwortlich und stachelt seine Mitschüler zum Kampf gegen die ernannten Feinde auf. Fast alle lassen sich von den falschen Beweisen überzeugen und wollen der Parallelklasse nun einen handfesten Denkzettel verpassen. Nur Alexanders engste Freunde mit Maulwurf an der Spitze beteiligen sich nicht an der Hetzkampagne und sorgen mit einer Rauchbombe dafür, dass sich Grubers Leute untereinander verprügeln. Diese schwören Rache und bald schon stehen sich beide Seiten unversöhnlich in einem stillgelegten Stahlwerk gegenüber. Unterdessen muss Alexander schmerzhaft erfahren, dass seine Mutter ihn in Bezug auf den verschollenen Vater angelogen hat, was seine Verzweiflung vergrößert. Jetzt würde nur noch die ganze Wahrheit auch in seinem Fall helfen, aber dafür müsste er seine Feigheit und seine Eitelkeit überwinden, die Notlüge allen gegenüber offen eingestehen.
Gleich zu Beginn zieht der Film mit zwei Szenenfolgen das Publikum voll in die Geschichte hinein. Alexander träumt davon, er habe den Malwettbewerb gewonnen, werde vor versammelter Schülerschaft ausgezeichnet und könne den Preis seiner Freundin Lotte widmen. Seine kindlichen Allmachtsfantasien werden in der Realität auf die Probe gestellt, als in einem aufgelassenen Stahlwerk, das den Kindern als Abenteuerspielplatz und Versteck dient, niemand außer ihm den Mut aufbringt, sich mit einem elastischen Seil von einer Plattform aus in die Tiefe zu stürzen – ein Vorläufer des Bungee-Springens also. Diese Mutprobe findet eine jähe Unterbrechung, die die Stärke des Regisseurs Rosenmüller unterstreicht, die Erlebniswelt von Kindern spannend und humorvoll zugleich zu inszenieren. Dies hat er bereits mit seinem Erstlingswerk „Wer früher stirbt, ist länger tot“ unter Beweis stellen können. Sein damaliger junger Hauptdarsteller Markus Krojer spielt auch hier die Hauptrolle neben Zoë Mannhardt als Lotte, die in Detlev Bucks „Hände weg von Mississippi“ zu sehen war. Die anderen Kinderdarsteller standen erstmals vor der Kamera, erwachsene Figuren spielen nur Nebenrollen, die für den Fortgang der Handlung allerdings entscheidend sind.
Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen „Kinderroman für fast alle Leute“ der jüdischen Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Anna Maria Jokl (1911-2001), den sie zwischen 1937 und 1939 in Prag geschrieben hat. Sie beschrieb darin im Mikrokosmos Schule die drohende Welt des heraufziehenden Nationalsozialismus in den letzten Monaten der Weimarer Republik, vor dem sie 1933 aus Berlin über die Tschechoslowakei nach Großbritannien geflohen ist. Ihr erst nach dem Krieg veröffentlichter Roman wurde Anfang der 1990er-Jahre neu entdeckt und aufgelegt. Die jetzige Verfilmung spielt in Ausstattung und Kostümen – damals trugen die Jungen im Winter tatsächlich kurze Hosen – im Jahr 1931, dennoch werden die Zeitumstände nur angedeutet, um die Allgemeingültigkeit der Geschichte zu betonen. Die Handlung spielt nun in Bayern und der unverwechselbare Dialekt der Kinder macht einen großen Teil des Wortwitzes und der Atmosphäre aus, ohne das Verständnis zu behindern.
Während sich der Roman an „fast alle Leute“ richtet, hat Rosenmüller einen anspruchsvollen Film inszeniert, der für ältere Kinder ab 10 Jahren geeignet ist. Konkreter als der Roman spart der Film die zunehmende Brutalität der Kinder nicht aus, zumal beide Seiten – die Aufwiegler und die Selbstverteidiger – zu „Foltermethoden“ greifen, um dem Gegner die erhofften Informationen zu entlocken. Die einen wenden körperliche Gewalt an, Maulwurf und seine Freunde versuchen es mit subtileren Methoden und dem Einsatz einer Kitzelmaschine. Und wenn sich die Kinder im Wirtshaussaal den als Film im Film inszenierten Gruselfilm „Die Menschenfabrik des Dr. Knopf“ ansehen, erinnert das nicht nur an die expressionistischen Horrorfilme des Jahres 1931 von „Frankenstein“ über „Dracula“ bis zu „Das Kabinett des Dr. Caligari“ von Fritz Lang, sondern verweist auch auf ihr Bedürfnis, sich auf filmische (abgesicherte) Weise mit dem Grauen und diffusen Ängsten und Horrorfantasien auseinanderzusetzen.
Vor allem aber ist der Film eine eindrucksvolle Parabel über die Manipulierbarkeit des Menschen durch Ideen und selbst ernannte Führer und Demagogen, zeigt durchaus kindgerecht die Mechanismen der Manipulation ähnlich wie es „Die Welle“ speziell für Jugendliche macht. Allein persönlicher Mut und Zivilcourage wappnen gegen solche Mechanismen, was auch bedeutet, eigene Fehler offen und sogar vor großem Publikum einzugestehen, die Feigheit zu überwinden und zu den eigenen Überzeugungen und Werten zu stehen. Das beeindruckt am Ende nicht nur Lotte im Film.
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